Hoffnung: einer besseren Zukunft entgegenfühlen

Wer hofft, hält einen positiven Ausgang für möglich – selbst dann, wenn dieser nicht sehr wahrscheinlich ist.
Hoffnung motiviert zum Durchhalten. Wer hofft, distanziert sich von negativen Erwartungen und mobilisiert Energien für eine bessere Zukunft. Hoffnungsvolle Menschen halten Ausschau nach möglichen Wegen zum ersehnten Ziel. Denjenigen, die ausschließlich in positiven Fantasien schwelgen, bleiben diese Wege aber oftmals versperrt.
Der menschliche Geist ist ein raffinierter Erwartungsgenerator. Menschen haben die nach bisherigem Wissen einzigartige Fähigkeit über die unmittelbare Realität hinauszudenken. Kraft ihrer Vorstellung können sie Pläne schmieden, alternative Welten ersinnen oder ein Bild davon entwerfen, wie sie sich selbst in der Zukunft sehen. Psychologinnen nennen das mentale Simulation oder – wenn es um das zukünftige Selbstbild geht – mögliches Selbst.
Anders als unsere Gedanken, die in die Zukunft schweifen können, bleiben unsere Emotionen immer gegenwärtig. Sie finden im Hier und Jetzt statt. Sie können sich aber auf die Dinge beziehen, die wir erwarten oder die wir uns gedanklich ausmalen. Emotional reagieren wir nicht allein auf das konkrete Geschehen um uns herum, sondern ebenso auf die mental simulierten zukünftigen Ereignisse. Die Kognitionspsychologen Maria Miceli und Cristiano Castelfranchi, die dem Thema Erwartung und Emotion ein ganzes Buch gewidmet haben, sprechen von antizipierenden Emotionen. Angst und Hoffnung zählen sie dazu.

Hoffnung und Angst sind Erwartungsemotionen. Sie beziehen sich auf zukünftige Ereignisse, deren Ausgang noch ungewiss ist.
Ein Student befürchtet, dass die anstehende Mathematikprüfung zu schwer wird, lernt aber fleißig, in der Hoffnung, sie zu bestehen. Eine krebskranke Frau hat Angst, dass ihre Krankheit unheilbar ist, hegt jedoch Hoffnung, dass die neue Therapie anschlägt, wenn sie ihre Medikamente gewissenhaft einnimmt. Ein Vater ist voller Sorge, dass seiner nachtschwärmenden Tochter etwas zugestoßen ist, hofft aber, dass sie bald gesund und munter heimkommt.
Diese Beispiele zeigen, dass Angst und Hoffnung oft nah beieinander liegen: Die ängstliche wie die hoffende Person erwartet, dass ein Ereignis eintreten könnte. Was die Zukunft tatsächlich bringt, bleibt ungewiss. Während der Ängstliche aber den unliebsamen negativen Ausgang fokussiert, hält die Hoffende an einem positiven Ausgang fest – selbst dann, wenn dieser unwahrscheinlich ist. Von hier aus entfaltet die Hoffnung ihre motivierende Kraft.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Hoffnung sich in vielen Lebensbereichen positiv auswirkt. Hoffnung führt zu besseren akademischen Leistungen. Sie verbessert das psychologische Wohlbefinden und wirkt sich vorteilhaft auf die körperliche Gesundheit von Menschen aus. Hoffnung lindert sogar physisches Leiden, da zuversichtliche Menschen körpereigene Botenstoffe (etwa Endorphine) ausschütten, die schmerzlindernd wirken. Kein Wunder, dass die Erforschung der Hoffnung insbesondere im Rahmen der Positiven Psychologie aufgeblüht ist, die sich für die Stärken der menschlichen Psyche (und weniger für deren Unzulänglichkeiten) interessiert.
Derzeit wirft die Hoffnungsforschung aber mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert: Was geht tatsächlich in hoffenden Personen vor? Wie funktioniert Hoffnung? Ist Hoffnung überhaupt eine Emotion? Ist sie dasselbe wie Optimismus? Und: Ist Hoffnung immer gut oder kann sie auch hinderlich sein?
Die Hoffnungstheorie von Charles Richard Snyder
Hoffnung sei „ein Regenbogen des Geistes“, schrieb der 2006 verstorbene Hoffnungsforscher Charles Richard Snyder, „ein Prisma, das bunte Lichtsplitter in die verschiedensten Richtungen schickt“. Hoffnung hebe unsere Stimmung und lasse uns an das Mögliche denken. Snyders Hoffnungstheorie, deren grundlegende Prinzipien er in den 1980er Jahren formulierte, dominiert die psychologische Forschung bis heute.
Snyder beschreibt Hoffnung als die Motivation, sich an positive Ergebnisse oder Ziele zu binden. Hoffnung ist für ihn ein Prozess des Nachdenkens über die eigenen Ziele, der gekennzeichnet ist durch: (1) die Entschlossenheit, sich auf ein Ziel zuzubewegen (agency), sowie (2) die Erwartung, dass man Wege findet, dieses Ziel zu erreichen (pathways).
Was damit gemeint ist, illustrieren Snyders Untersuchungen zum Zusammenspiel von Hoffnung und universitärem Erfolg: Er beobachtete, dass Hochschüler, die ihr Studium zuversichtlich angehen, in der Regel einen besseren Notendurchschnitt erzielen und ihr Studium häufiger erfolgreich abschließen. Synder glaubt, dass die hoffnungsfrohen Studenten ihr Ziel stärker im Blick behalten. Sie lassen sich weniger schnell entmutigen und suchen nach alternativen Wegen, wenn sie auf Hindernisse stoßen. Die Hoffnungslosen hingegen verfangen sich in zielhemmenden Gedanken, tun sich schwer damit, neue Lösungsansätze zu finden und geben folglich eher auf. Kurzum: Wer hofft, hat aus Snyders Sicht eine positive Erwartungshaltung und eine gedankliche Flexibilität, die ihn vor Motivationseinbußen schützt.

Hoffnung als Wille und Weg: Der amerikanische Psychologe Rick Snyder konnte zeigen, dass hoffnungsvolle Studenten im Studium erfolgreicher sind.
Snyder betont in seiner Theorie den Denkprozess, der sich mit Hoffnung verbindet, ihre kognitive Komponente. Hoffnung, so wie er sie versteht, lässt sich nur schwer von anderen psychologischen Konzepten wie Optimismus oder Selbstwirksamkeit abgrenzen. Jüngere Forschungsbefunde legen zudem nahe, dass seine Theorie nur unzureichend beschreibt, was in hoffenden Menschen vor sich geht – und welche emotionale Kraft in Hoffnung steckt.
Die emotionale Seite der Hoffnung
Snyders Verständnis von Hoffnung entspricht nicht unbedingt dem, was Menschen sich im Alltag darunter vorstellen: Hoffen Menschen nicht gerade dann, wenn sie sich nicht in der Lage sehen, einen Weg zum Ziel zu finden, wenn sie keine positiven Erwartungen haben? Der Vater, der nächtens auf seine Tochter wartet, hat keinen Einfluss auf ihre Rückkehr. Er kann nichts tun – aber hoffen. Die krebskranke Frau rechnet sich möglicherweise kaum Chancen auf Heilung aus, sie hofft aber dennoch, gesund zu werden.
Patricia Bruininks und Bertram Malle näherten sich dem Phänomen Hoffnung weniger theoretisch. Sie befragten Personen direkt, was sie unter Hoffnung verstehen, und ließen sie über eigene Hoffnungserlebnisse berichten. Ihre Studienteilnehmer beschrieben Hoffnung mehrheitlich als eine Emotion, die Personen zum Weitermachen ermutigt und die dafür sorgt, negative Gefühle von sich fernzuhalten. Im Gegensatz zu Optimismus war Hoffnung in ihren Schilderungen stärker mit der Wahrnehmung verbunden, dass sie selber wenig Einfluss auf das Ergebnis haben. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass das erwünschte Resultat eintritt, stuften die Befragten für Hoffnung geringer ein als für Optimismus.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Simon Bury, Michael Wenzel und Lydia Woodyatt von der Flinders University in einem ganz anderen Kontext: Sie analysierten, unter welchen Bedingungen Hoffnung und Optimismus bei australischen Fußballfans auftreten. Dazu befragten sie Stadionbesucher vor dem Spielbeginn wie optimitisch bzw. hoffnungsvoll sie seien, dass ihre Mannschaft gewinnt. Die Aussagen derjenigen, die sich für eine chancenreiche Mannschaft im oberen Drittel der Liga begeisterten, verglichen sie dann mit den Aussagen derer, die ein weniger aussichtsreiches Team im unteren Drittel unterstützten.
Es zeigte sich, dass die Unterstützer der Teams mit geringer Gewinnwahrscheinlichkeit weniger optimistisch waren, dafür aber umso mehr hofften, dass ihr Favorit gewinnt – ein Muster, das sich bei den Anhängern der Top-Ligisten nicht fand. „Hoffnung entsteht vermutlich dann, wenn die Erfolgsaussichten gering sind, weil sie dann am meisten gebraucht wird“, folgern die Psychologen.

Fußballfans – je weniger optimistisch, desto hoffnungsvoller!
Positive Erwartungen sind demnach charakteristisch für Optimismus, aber nicht für Hoffnung. Hoffnung entsteht vielmehr dann, schreiben Miceli und Castelfranchi, wenn eine Person zwar den Wunsch hat, dass ein Ereignis eintritt, aber zugleich der Auffassung ist, dass sie keinen oder nur begrenzten Einfluss darauf hat. Die implizite Logik, die typisch für Hoffnung ist, lässt sich aus ihrer Sicht so formulieren: „Solange die negativen Belege nicht ausreichen (um volle Gewissheit zu erlangen), wollen wir zum Besseren hoffen (und handeln).“
Eine hoffnungsvolle Person wird sich trotz ungewisser Erfolgsaussichten weiterhin mit ihrem Ziel auseinandersetzen. Das Hoffen ermöglicht es ihr, einen Zustand der Annäherung aufrechtzuerhalten, in dem sie ihre gedankliche und emotionale Energie fortwährend auf das ersehnte Ziel richtet. Miceli und Castelfranchi glauben, dass diese motivationalen Aspekte die bedeutende Rolle erklären, die Hoffnung für das psychische Wohlbefinden spielt. Hoffnung schützt Menschen vor den negativen Auswirkungen der Ungewissheit. Wer hofft, lässt sich durch entmutigende Tatsachen nicht demotivieren, sondern versucht, einer besseren Zukunft entgegenzufühlen.
Kann Hoffnung hinderlich sein?
„Es wäre gut, wenn die Hoffnung etwas seltener wäre im Gemüt des Menschen. Er wappnete sich dann zu rechter Zeit gegen die Zukunft“, schrieb Friedrich Hölderlin in seinem Roman Hyperion. Der Dichter spielt damit auf eine negative Folge der Hoffnung an: das Warten darauf, dass sich ein Wunsch auch ohne das eigene Zutun erfüllt.
Es mag vorkommen, dass Menschen ihre Hoffnungen allein auf das erwünschte Ergebnis richten und Bedingungen und Pläne, um es zu erreichen, ausklammern. Miceli und Castelfranchi nennen diese Form des Hoffens passive Hoffnung. Sie sehen zwei mögliche Ursachen für die abwartende Haltung: Jemand hat das Gefühl, dass er absolut nichts dazu beitragen kann, dass sein Wunsch in Erfüllung geht. Oder: Man verliert sich in positiven Fantasien, die die Aufmerksamkeit von möglichen Zwischenschritten ablenken.

Passive Hoffnung: Wer in positiven Fantasien und Tagträumen schwelgt, blockiert sich möglicherweise selbst und verringert seine Erfolgsaussichten.
Dass reines Wunschdenken den zukünftigen Erfolg unter Umständen schmälert, konnte die Hamburger Psychologin Gabriele Oettingen für unterschiedliche Lebensbereiche zeigen: Studenten, die sich ihren Berufseinstieg sehr rosig vorstellten, waren bei der Arbeitssuche weniger erfolgreich. Sie schrieben weniger Bewerbungen, bekamen weniger Jobangebote und ein geringeres Gehalt. Verliebten Männern und Frauen, die sich verheißungsvolle Begegnungen ausmalten, gelang es seltener, tatsächlich eine romantische Beziehung einzufädeln. Sie sprachen ihr Herzblatt oft nicht einmal an. Und bei Patienten, die sich einer Hüftoperation unterzogen, war die Beweglichkeit zwei Wochen nach der OP umso geringer, je mehr sie sich zuvor von ihrem Gesundheitszustand erträumt hatten.
„Zukunftsträume sind angenehm im Moment, auf lange Sicht aber blockieren sie uns. Wer den Erfolg im Geiste schon vorweggenommen hat, hat das Gefühl, er brauche sich nicht mehr zu bemühen“, erklärt Oettingen in einem ZEIT-Interview. Menschen, die ausschließlich in ihren positiven Fantasien schwelgen, versäumen es offenbar, eventuelle Hürden und Rückschläge einzuplanen. Infolgedessen denken sie nicht darüber nach, wie sie diese überwinden könnten und sind (siehe Hölderlin) tatsächlich schlechter für die Zukunft gewappnet.
Daphna Oyserman, die an der University of Southern California über den Zusammenhang zwischen dem möglichen Selbst und Motivation forscht, kommt zu ähnlichen Schlüssen wie Oettingen. Positive Zukunftsvisionen und Selbstentwürfe sind aus ihrer Sicht fruchtbar, weil sie die Kluft aufzeigen zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte. Sie können Menschen motivieren, ihre aktuelle Situation zu verändern – aber nur dann, wenn sie an geeignete Strategien gekoppelt werden. Etwas weniger wissenschaftlich ausgedrückt: Man sollte seine Tagträume rechtzeitig mit der Wirklichkeit abgleichen, damit das Hoffen nicht zum (schlechten) Ersatz für das Handeln wird.
Weblinks
Wie mächtig ist die Hoffnung? – Beitrag von Christian Heinrich und Alessandro Gottardo in DIE ZEIT
Träum das Problem! -Interview mit Gabriele Oettingen in DIE ZEIT
WOOP my life – die WOOP-Methode von Oettingen
Hinter WOOP (Wish – Outcome – Obstacle – Plan) verbirgt sich die Methode des sog. Mentalen Kontrastierens. Mit WOOP unterzieht man positive Fantasien einer Art Faktencheck, indem man Stolpersteine identifiziert, die den zukünftigen Erfolg behindern könnten – und überlegt, wie man diese ggf. überwinden kann. Für iOS und Android gibt es inzwischen auch eine WOOP-App, mit deren Hilfe man die eigenen Fortschritte dokumentieren kann.
Literatur:
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