Neid: Begehren, was andere (schon) haben

Geld – nur einer von vielen Gründen, neidisch auf andere zu sein
Neid hat keinen guten Ruf. Deshalb geben die wenigsten Menschen gerne zu, dass sie anderen etwas neiden oder missgönnen. Die psychologische Forschung kann der Emotion aber auch etwas Positives abgewinnen. Sie unterscheidet zwischen gutartigem und bösartigem Neid.
In einem Ranking von hundert wünschenswerten Merkmalen einer Person schaffte es die Eigenschaft neidisch auf…? – Platz 97. Tiefer rangieren nur noch engstirnig, falsch und grausam. Die Befragung stammt zwar aus den 70er Jahren, an der Unbeliebtheit des Neids dürfte sich seitdem aber wenig geändert haben. Neid genießt einen schlechten Ruf. Vielen Kulturen gilt er als Sünde, der katholischen Kirche sogar als Todsünde. Du sollst nicht begehren deines nächsten Hab und Gut, mahnt eines der Zehn Gebote.
„Für gewöhnlich bringt man uns bei, dass wir uns über den Erfolg anderer Leute freuen sollen“, erläutert der Sozialpsychologe Richard Smith. „Neid verletzt soziale Konventionen, die als Reaktion auf Erfolg normalerweise Unterstützung und nicht Konkurrenz und Missgunst verlangen.“ Nach dem Glück, dem Besitz oder den Talenten der Mitmenschen zu schielen schickt sich nicht. Obwohl fast jeder das nagende Gefühl kennt, gibt deshalb niemand gern zu, wenn er neidisch ist.
Wissenschaftler/innen, die sich mit dem Neid beschäftigen, haben es besonders schwer, denn: Wie untersucht man ein Gefühl, über das niemand gerne etwas preisgibt? Mit trickreichen Methoden konnte die Forschung in den letzten Jahren dennoch einiges über den Neid zutage fördern – und ihn sogar in ein etwas besseres Licht rücken.
Was macht Menschen neidisch?
Folgt man der Definition, auf die sich die meisten Forscher/innen einigen können, geht Neid etwa so: Jemand vergleicht sich mit einer anderen Person. Der Vergleich fällt unvorteilhaft für ihn aus. Er leidet, denn sein Selbstwertgefühl ist dadurch angekratzt. Je weniger Aussicht er hat, die eigene Unterlegenheit zu überwinden, desto feindseliger sind seine Gedanken und desto größer sein Wunsch, der bessergestellten Person ihre Vorteile abspenstig zu machen. Zentral ist der soziale Vergleich: Es geht den Neidern nicht in erster Linie darum, etwas zu besitzen oder besonders gut zu sein, sondern mehr zu haben und besser zu sein als andere.
„Beim Neid sind wir primär um unsere relative Stellung besorgt und nicht um den Wert der Sache an sich.“ – Aaron Ben Ze’ev
Wir beneiden, was andere haben oder was sie sind: ihren Wohlstand, ihr Können, ihre Attraktivität. Die meisten Neiderfahrungen, über die Menschen berichten, fallen in einen dieser drei großen Bereiche. Was beneidenswert ist, unterscheidet sich aber von Person zu Person und kann sich über die Lebensspanne ändern. Das zeigen anonyme Online-Befragungen von Nicole Henniger und Christine Harris, an denen über 1700 (überwiegend US-amerikanische) Frauen und Männer zwischen achtzehn und achtzig Jahren teilnahmen: Das Aussehen etwa war in jüngeren Altersgruppen – insbesondere bei Frauen unter dreißig Jahren – ein erheblich größerer Neidfaktor als bei den Ü40-Jährigen. Männer neideten anderen häufiger deren beruflichen Erfolg – mit einem Peak bei Männern um die vierzig Jahre. Der Neid macht vor klassischen Rollenbildern offenbar nicht halt.

Neid macht vor klassischen Rollenzuschreibungen nicht halt: Männer berichten häufiger als Frauen, dass sie anderen den beruflichen Erfolg neiden.
Neid verrät etwas darüber, was dem Einzelnen wichtig ist, was sein Selbstbild ausmacht. Der aussichtsreiche Praktikumsplatz eines Mitstudenten, die schicke Altbauwohnung der Kollegin, der Abenteuerurlaub des Freundes – je besser das Objekt der Begierde zur Selbstdefinition passt, desto wahrscheinlicher folgt Neid. „Um unsere Leistungen sorgen wir uns nur in einer begrenzten Anzahl von Bereichen“, erklärt Peter Salovey, der an der Universität Yale Untersuchungen zum Neid durchgeführt hat. „Wenn andere uns in diesen Bereichen übertreffen, bedroht das unseren Selbstwert.“ Die Annahme dahinter: Jeder Mensch hat ein natürliches Bedürfnis, seinen Selbstwert zu maximieren oder wenigstens zu erhalten. So behauptet es zumindest Abraham Tesser in seiner einflussreichen Theorie der Aufrechterhaltung der Selbstbewertung (engl. self-evaluation maintenance model), an die Salovey mit seinen Experimenten anknüpft.
Möglich ist aber auch, dass der spontane Vergleich mit anderen eine Sache erst begehrenswert werden lässt – ein Effekt, den die Werbung für sich nutzt. Dieser impulsiven Seite des Neids gingen Jan Crusius und Thomas Mussweiler in mehreren Studien an der Universität Köln nach. In einem Feldexperiment sprachen die Psychologen mehr oder weniger alkoholisierte Passanten beim Kölner Karneval an und gaben vor, einen Geschmackstest mit ihnen durchzuführen. Ob die Karnevalisten zähe Bonbons oder eine Schachtel Schoko Crossies zum Probieren erhielten, wurde angeblich per Los bestimmt. In Wirklichkeit waren die Lose getürkt: Alle bekamen die zähen Bonbons. (Vorhergehende Tests hatten gezeigt, dass die Schoko Crossies in der Regel bevorzugt werden.) Die Hälfte der Probanden führte den Test alleine durch. Bei der anderen Hälfte gab sich jemand aus dem Psychologen-Team als zweiter Passant aus, dem durchgehend die Schoko Crossies „zugelost“ wurden.
Nach dem Geschmackstest wurden die Testteilnehmer dazu befragt, wie glücklich sie mit den Bonbons wären, wie viel lieber sie die Schoko Crossies gehabt hätten und wie sehr sie den anderen um diese beneiden. Die Vermutung der Wissenschaftler bestätigte sich: Eine Neidreaktion trat spontan auf, wenn ein anderer das bessere Produkt erhielt – und nur dann. Die Probanden ärgerten sich nicht darüber, dass ihnen das Schoko-Konfekt vorenthalten wurde, sondern dass ein anderer es bekommen hatte. Je geringer ihre Selbstkontrolle (je höher ihr Alkoholspiegel), desto empfindlicher reagierten sie auf die Benachteiligung.

Produkte sind besonders verlockend, wenn ein anderer sie bekommt.
„Die Befunde unterstützen die Sicht, dass Neid eine basale und spontane Reaktion auf überlegene Mitmenschen ist, die sogar dann resultiert, wenn der Grund für die Überlegenheit nur begrenzt für einen selbst wichtig ist“, resümieren Crusius und Mussweiler. In nachfolgenden Laborexperimenten konnten sie zeigen, dass Personen in solchen Vergleichssituationen sogar deutlich mehr zahlen würden, um ein Produkt zu erwerben. Mit anderen mitzuhalten, hat seinen Preis.
Bösartiger und gutartiger Neid
„Der neidische Mensch denkt, er könne besser gehen, wenn sein Nachbar sich das Bein bricht“, höhnt Helmut Schoeck in seiner Analyse zum Neid in der Gesellschaft. Böswillige Neider wünschen anderen Schlechtes, um selber besser dazustehen. Sie hegen missgünstige und feindselige Gedanken gegen diejenigen, die ihnen überlegen sind, um ihr verletztes Ego wieder hochzupäppeln. Manchmal folgen niederträchtige oder sogar kriminelle Taten.
Ein Beispiel für diese Form des Neids ist die böse Stiefmutter, die Schneewittchen nach dem Leben trachtet, weil sie deren Schönheit nicht erträgt: „Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte.“

Bösartiger Neid: Die Stiefmutter trachtet Schneewittchen nach dem Leben (Illustration von Franz Jüttner, 1905)
Lange wurde in der Psychologie vor allem dieser bösartige oder destruktive Neid betrachtet, und einige Neidforscher vertreten die Ansicht, dass der böse Wille per Definition zum Neid gehört: Der typische Neider will die Gleichwertigkeit durch die Schwächung des anderen wieder herstellen und nicht dadurch, dass er sich selber verbessert, meinen die italienische Sozialpsychologin Maria Miceli und ihr Kollege Cristiano Castelfranchi. Sie glauben, dass die Ursache für den bösen Willen die „schmerzhaften Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit“ sind, die mit der Unterlegenheit einhergehen. Es ist einfacher, sich den Schaden der Privilegierten herbeizuwünschen, als an den eigenen Mängeln zu arbeiten.
Der Vergleich mit anderen kann aber auch anspornen, sich selber zu verbessern. Psychologen sprechen dann von gutartigem oder konstruktivem Neid. Niels van de Ven von der Universität Tilburg ist davon überzeugt, dass es sich um zwei grundsätzlich verschiedene Neidformen handelt. Gemeinsam mit seinen Kollegen Zeelenberg und Pieters analysierte er mehr als zweihundert Neidberichte, und tatsächlich fanden sich charakteristische Unterschiede: Gutartig Neidische bewundern die Leistung derjenigen, mit denen sie sich messen, machen ihnen aufrichtige Komplimente und wären sogar gerne mit ihnen befreundet. Sie fühlen sich zwar unterlegen und auch (ein wenig) frustriert, werden aber aktiv, um mehr für sich zu erreichen. Gutartiger Neid motiviert Menschen, das zu bekommen, was andere schon haben.
Klingt gleich viel sympathischer. Warum ist das nicht immer so? In den Studien der Niederländer finden sich auch dafür erste Anhaltspunkte: Zum einen ist der böse Wille stärker ausgeprägt, wenn jemand keine Möglichkeit für sich sieht, die Situation zu verändern und zu der beneideten Person aufzuschließen. Zum anderen zeigen sich Personen missgünstiger, wenn der Beneidete seinen Vorsprung nicht verdient hat. Bekommt der Kollege im Call Center eine Bonuszahlung, obwohl er nicht mehr Kundenverträge abgeschlossen hat, dann nährt das die bösen Gedanken. Bösartiger Neid kann demzufolge die emotionale Antwort auf unfaire Verhältnisse sein.
Ob konstruktiver oder destruktiver Neid – beide haben zum Zweck, das eigene Standing innerhalb der sozialen Hierarchie zu verbessern. Nur die Mittel sind nicht in beiden Fällen sozial verträglich. Es ist auch nicht immer offensichtlich, mit welcher Form des Neids man es zu tun hat, da die Böswilligkeit sich bisweilen hinter vermeintlich guten Absichten versteckt. Klar ist hingegen, dass Neid sich nie gut anfühlt. Wie Wilhelm Busch bereits bemerkte: Um Neid ist keiner zu beneiden.
Online-Beiträge zum Thema Neid:
Beitrag auf Deutschlandfunk Kultur von Susanne Mack: Missgunst statt Bewunderung
Lasst uns mehr Neiddebatten führen! – Axel Brüggemann in derFreitag
Neid: ohne geht es nicht – ZEIT Campus-Beitrag von Thomas Assheuer
Literatur und Quellen
Ben-Ze’ev, A. (2000). The Subtlety of Emotions. Cambridge, London: MIT Press
Crusius, J., & Mussweiler, T. (2012). When people want what others have: The impulsive side of envious desire. Emotion, 12(1), 142-153. doi:10.1037/a0023523
Henniger, N. E., & Harris, C. R. (2015). Envy Across Adulthood: The What and the Who. Basic & Applied Social Psychology, 37(6), 303-318.
Miceli, M., & Castelfranchi, C. (2007). The envious mind. Cognition & Emotion, 21(3), 449-479.
Parrott, W. G. (2009): Envy. In D. Sander & K. R. Scherer (Eds.) The Oxford companion to emotion and the affective sciences. New York, NY, US: Oxford University Press.
Salovey, P. (1991). The psychology of jealousy and envy. New York, NY, US: Guilford Press.
Schoeck, H. (1974). Der Neid und die Gesellschaft. Freiburg i. Br. : Herder
Schönbach, P. (1972). Likableness ratings of 100 German personality-trait words corresponding to a subset of Anderson’s 555 trait words. European Journal Of Social Psychology, 2(3), 327-333.
Smith, R. H., & Kim, S. H. (2007). Comprehending envy. Psychological Bulletin, 133(1), 46-64. doi:10.1037/0033-2909.133.1.46
van de Ven, N., Zeelenberg, M., & Pieters, R. (2009). Leveling up and down: The experiences of benign and malicious envy. Emotion, 9(3), 419-429. doi:10.1037/a0015669
van de Ven, N., Zeelenberg, M., & Pieters, R. (2012). Appraisal patterns of envy and related emotions. Motivation And Emotion, 36(2), 195-204. doi:10.1007/s11031-011-9235-8
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