Die Psychologie der Emotionen

Konservative reagieren stärker auf emotionale Reize

Emotionsforscher der Universität Toronto konnten zeigen, dass die Schwelle zur emotionalen Erregung im Gehirn bei konservativ eingestellten Menschen schneller überschritten wird. Ihre Vermutung: Konservative wollen Bewährtes schützen, da sie die emotionale Erregung durch Neues als unangenehm empfinden.

2017 ist das Jahr der Europa- und der Bundestagswahl. Irritiert durch die jüngeren politischen Ereignisse (Brexit, Trump) sorgen sich viele Politiker und Bürger schon jetzt, dass rechtskonservative Tendenzen in Europa weiter zunehmen könnten. Die Befürchtung, dass Wähler ihre politischen Entscheidungen nicht besonnen und überlegt treffen, sondern sich von Stimmungen und Befindlichkeiten leiten lassen, ist nicht unbegründet: Schon länger mutmaßen Psychologen, dass gerade konservative Gemüter negative oder risikobehaftete Ereignisse und Informationen emotional stärker gewichten als ihre liberalen Zeitgenossen. Wissenschaftliche Belege dafür häufen sich.

In einer Studie an der Universität Toronto, deren Ergebnisse unlängst in der renommierten Fachzeitschrift Emotion (Volume 16, Issue 8) veröffentlich wurden, untersuchten Emotionsforscher, ob konservative Personen ausschließlich negativen Vorkommnissen mehr Bedeutung beimessen oder ob sie generell extremer auf emotionale Reize ansprechen. Das Team unter der Leitung von Shona Tritt präsentierte einer kleinen Gruppe von 42 Probanden neutrale, geringfügig stimulierende und stark emotionsgeladene Fotografien aus dem International Affective Picture System. Mithilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) zeichneten die Forscher auf, wie die jeweiligen Bilder auf die Nervenzellen im Gehirn wirken.

Einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen der politischen Orientierung und der Art des Bildinhaltes (positiv oder negativ) konnten die Wissenschaftler nicht feststellen. Anders als bei den politisch Aufgeschlossenen, feuerten die Nervenzellen der konservativen Versuchsteilnehmer aber nicht nur bei hoch emotionalen, sondern auch bei harmlosen Motiven intensiv und anhaltend: Während die liberal Eingestellten primär durch Fallschirmspringer, nackte Menschen, zähnefletschende Tiere oder gespannte Revolver zu beeindrucken waren, tangierten die Konservativen auch Bilder von Elefantenbabies, Kindern am Strand, traurigen Gesichtern und Abfalleimern.

Die Autoren der Studie kritisieren, dass die Forschung zu politischen Werthaltungen bislang zu einseitig auf negative Gefühle fokussiert sei und den Blick auf andere psychologische Bedingungen verstelle: „Es scheint, als ob emotionale Zustände wie Bedrohung, Unsicherheit und Ekel nur spezielle Beispiele für eine allgemeinere Tendenz konservativer Menschen sind, Umweltreize mit erhöhter und anhaltender Intensität zu erleben.“

Tritt und ihre Kollegen vermuten, dass die gesteigerte Erregbarkeit die Informationsverarbeitung im Gehirn derart verändert, dass konservative Anschauungen attraktiver erscheinen. Die emotionale Erregung führe möglicherweise zu unflexiblerem Denken, infolgedessen Personen auf vertraute Denkmuster und Stereotype zurückgreifen. Eine alternative Erklärung wäre, dass emotional stark erregte Personen einen Kontrollverlust spüren, den sie unangenehm finden. Ein einfaches Set von außen vorgeschriebener, fester Werte ermögliche es diesen Menschen, „ihre soziale Umwelt so zu regulieren, dass der Kontakt mit  emotional erregenden Situationen begrenzt wird.“ Die leichtere Erregbarkeit könnte somit eine plausible Erklärung dafür sein, dass Populisten mit emotionalisierenden Szenarien bei Konservativen auf besonders fruchtbaren Boden treffen.

Abschließend merken die Forscher an, dass ihre Untersuchung an einer schmalen Stichprobe von Studierenden nur ein klitzekleines Bisschen zur Erklärung konservativer Gesinnungen beitragen könne. Lebensgeschichte, Persönlichkeit und Umwelt formten die politischen Überzeugungen ebenfalls. Recht haben sie! So ist gute Wissenschaft: bescheiden und dennoch inspirierend.


Besprochene Studie:

Tritt, S. M., Peterson, J. B., Page-Gould, E., & Inzlicht, M. (2016). Ideological reactivity: Political conservatism and brain responsivity to emotional and neutral stimuli. Emotion, 16(8), 1172-1185. doi:10.1037/emo0000150

Weitere Quellen:

Hibbing, J.R., Smith, K.B. and Alford, J.R. (2014) ‘Differences in negativity bias underlie variations in political ideology’, Behavioral and Brain Sciences, 37(3), pp. 297–307. doi: 10.1017/S0140525X13001192

Jost, J. T., Glaser, J., Kruglanski, A. W., & Sulloway, F. J. (2003). Political conservatism as motivated social cognition. Psychological Bulletin, 129(3), 339-375. doi:10.1037/0033-2909.129.3.339

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