Die Psychologie der Emotionen

George Bonanno: Die andere Seite der Trauer

trauer_bonannoGeorge Bonannos Forschungserkenntnisse sind ermutigend: Menschen können mit Verlusten viel besser umgehen, als lange Zeit angenommen wurde. Die meisten erholen sich sogar erstaunlich schnell, nachdem eine geliebte Person gestorben ist. Das weit verbreitete Modell der Trauerphasen von Elisabeth Kübler-Ross hat aus Bonannos Sicht ausgedient.

Die Studien von Bonanno zeigen, dass Trauernde sich überlicherweise nicht in einem Zustand permanenten Kummers befinden. Vielmehr pendeln sie hin und her zwischen der Trauer und positiven Gefühlen, die ihnen die Rückkehr in einen geordneten Alltag ermöglichen. Dieser wellenförmige Trauerprozess verlaufe zwar individuell sehr verschieden – aber keinesfalls in vorgegebenen Phasen à la Kübler-Ross, die zwingend durchlaufen werden müssten, um den Verlust erfolgreich zu bewältigen.

„Das vielleicht Verblüffendste an der Vorstellung oszillierender Trauer ist, dass sie so wenig Ähnlichkeit mit der landläufigen Auffassung hat, dass Trauer sich in einer vorhersagbaren Abfolge von Phasen entfaltet.“

Bei Menschen, die sich vergleichsweise schnell erholen, zeigt sich offenbar häufig, dass die Erinnerung an den Verstorbenen sie tröstet. Sie schaffen es, sich positive Erfahrungen ins Gedächtnis zu rufen, und denken gern an die verstorbene Person. In diesem Rückgriff auf angenehme Erinnerungen sieht Bonnano keine Verleugnung der Tatsachen, sondern den „Beweis für die Flexibilität des menschlichen Gehirns“. Den Menschen dann einzureden oder gar vorzuwerfen, sie hätten den Verlust nicht richtig verarbeitet, sei in der Regel kontraproduktiv. Bei anderen wiederum sei der Schmerz so groß, dass alle schönen Erinnerungen blockiert sind – oftmals nach traumatischen Erfahrungen. Jeder Gedanke an den Toten gerät diesen Menschen zu einer einzigen Qual.

Den Kummer nach außen zu tragen, ist laut Bonanno zunächst einmal gut. Man signalisiert den Mitmenschen dadurch, dass man sich in einem Ausnahmezustand befindet. Die Trauer verschafft eine Art Schonzeit, um Unwichtiges auszublenden, sich auf Wichtiges zu konzentrieren und neue Energien aufzubauen. Grämen sich Menschen hingegen unverhältnismäßig lange und intensiv, verprellen sie möglicherweise diejenigen, auf deren Unterstützung sie angewiesen sind. Darin liegt eine besondere Schwierigkeit für weniger widerstandsfähige Menschen. Hilfe von außen, etwa in Form einer Gesprächs- oder Verhaltenstherapie, kann dann sinnvoll oder sogar notwendig sein.

Bonanno schildert viele Einzelschicksale, die er persönlich begleitet hat, verknüpft Anekdotisches mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wie mannigfaltig Trauer sich ausprägen kann, wird dadurch sehr anschaulich. Ein großer Teil des Buches beschäftigt sich außerdem mit Trauerriten in anderen, insbesondere asiatischen, Kulturen. Seine Ausführungen zu den kulturellen Eigenheiten sind für meinen Geschmack etwas zu ausufernd geraten. Sie zeigen aber einmal mehr, dass es grundverschiedene Zugänge zu Verlust, Trauer und Tod gibt.


Website des Loss, Trauma, and Emotion Lab von George Bonanno an der Columbia University: www.tc.columbia.edu/LTElab/

„Der Mensch ist ein zähes Tier“ – Interview zum Thema Resilienz mit George Bonanno in der brand eins: www.brandeins.de/archiv/2014/scheitern/george-bonanno-im-interview-der-mensch-ist-ein-zaehes-tier/

4 Antworten zu „George Bonanno: Die andere Seite der Trauer“

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