Jessica Tracy: Take pride
Jessica Tracy widmet dieses Buch einer Emotion, die Psychologen lange vernachlässigt haben: dem Stolz. In seiner dunkleren Ausprägung – dem Hochmut – von der katholischen Kirche lange als Todsünde geächtet, erkennt sie im Stolz eine wesentliche Triebfeder für menschliche Leistung und Kreativität. Hochleistungssportler, Künstler, Erfinder, Politiker und Wissenschaftler dienen ihr als Beispiele dafür, wie sehr der Stolz einzelne Menschen beflügelt und damit die kulturelle Entwicklung der Menschheit als Ganze vorantreibt.
Tracy nimmt die Leser/innen mit auf eine Forschungsreise in ihr Emotion Lab an der University of British Columbia, in Olympiastadien und in entlegene Regionen der Welt – und ihre Begeisterung für das Thema kann man aus jeder Seite des Buches herauslesen. Ihre Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die Stolz empfinden, in allen Kulturen eine emotionstypische Körperhaltung annehmen, und dass Beobachter diese Körperhaltung unmissverständlich als Stolz deuten können. Stolz besitze damit die Kennzeichen einer Basisemotion, die Menschen im Laufe der Evolution entwickelt haben, um ihr Überleben abzusichern, folgert Tracy.
Menschen sind stolz auf sich selbst und ihre eigenen Leistungen. Anders als Emotionen wie Angst oder Ekel setzt Stolz voraus, dass man ein Bewusstsein für das Selbst hat. Tracy erklärt in Take Pride wie sich das Selbst und die eigene Identität durch soziale Interaktion allmählich herausbilden: Kinder entwickeln etwa um das zweite Lebensjahr herum ein Bewusstsein für das Selbst. Danach lernen sie, was es bedeutet, positives oder negatives Feedback von anderen zu bekommen. Sie merken, dass ihr Verhalten entlang der Regeln und Normen der Gesellschaft beurteilt wird, in der sie leben. Nach und nach verinnerlichen sie diese Regeln. Die Bewertungen der Mitmenschen werden zu Erwartungen, die sie schließlich an sich selber richten. Stolz ist jemand dann, wenn er den eigenen verinnerlichten Erwartungen entspricht.
Laut Tracy ist Stolz also vor allem ein „inneres Barometer“ dafür, wie gut man die Erwartungen der Gesellschaft bedient. Von hier aus entfaltet der Stolz seine motivierende Kraft: Er spornt an, etwas zu leisten, das von der sozialen Gruppe geschätzt wird.
Durch eine entsprechende Körperhaltung demonstrieren stolze Menschen, dass sie Respekt verdienen und dass man etwas von ihnen lernen kann. Der Gewinn für den sozialen Status des Einzelnen kann enorm sein. In einer Studie konnte Tracy beispielsweise zeigen, dass Personen, die in einem Bewerbungsgespräch über Haltung und Gestik persönlichen Stolz vermitteln, anderen Bewerbern vorgezogen werden – selbst wenn ihre Noten und Arbeitszeugnisse schlechter ausfallen.
An dieser Stelle kommt nun auch der falsche Stolz ins Spiel, der die Emotion derartig in Verruf gebracht hat, dass sie dem Klerus als Todsünde galt. Das Deutsche kennt dafür das Wort Hochmut, die Griechen den Begriff Hybris. Da es im Englischen nur das eine Wort pride gibt, unterscheidet Tracy authentischen Stolz und hybristischen Stolz. Beide Formen erfüllen aus ihrer Sicht eine psychologische Funktion. Aber während es beim authentischen Stolz darum geht, dass man sich gut fühlt, geht es beim hybristischen Stolz darum zu vermeiden, dass man sich schlecht fühlt. Hybris sieht man häufig bei Narzissten und Personen mit geringer Selbstwertschätzung, die eigene Schwächen verbergen möchten. Im dominanten Gebaren von Donald Trump etwa sieht Tracy viele Anzeichen für hybristischen Stolz.
Die zahlreichen inspirierenden Forschungsbefunde und Alltagsbeobachtungen, die Tracy zusammengetragen hat, machen das Buch sehr lesenswert. Sei es, dass man die ein oder andere gute Anregung für die Selbstoptimierung mitnimmt oder einfach nur das Verhalten von Bekannten und Kollegen nach der Lektüre etwas besser einordnen kann.
Website des UCB Emotion & Self Lab: ubc-emotionlab.ca
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